Richtiges Üben Teil 1: Instrument oder neue Fähigkeit erlernen? So holt Ihr das Maximum aus Eurer Übungszeit heraus


Als ich noch in die Schule ging, war freie Übungszeit kein grosses Thema. Sobald man nach Hause kam, hatte man viel Freizeit und konnte tun und lassen, was man wollte. Jetzt sieht das schon anders aus. Verpflichtungen, Aufgaben und das Arbeitsleben stehlen die Zeit, sich in verschiedenen Disziplinen zu verbessern.

So wird es schwer, über ein bestimmtes Level an Fertigkeit herauszukommen.

Im Alter von 8 Jahren begann ich eine klassische Klavierausbildung. Ich war ziemlich faul und der rasche Fortschritt lies auf sich warten. Damit schwand auch die Motivation weiter zu üben. Wir alle wissen, dass eine Sache um so mehr Spaß macht, je besser man darin ist. Mittlerweile interessieren mich andere Disziplinen. Ich übe regelmäßig Pantomime und die Kampfkunst Wing Tsun.

Macht Übung den Meister?

Die kurze Antwort ist: Ja!

Die lange: Talent ist hilfreich und wird überschätzt. Wichtiger ist die innere Motivation. Der Wille besser zu werden lässt mich nach geeigneten Lehrern und Trainingsmethoden suchen. Er lässt mich am Ball bleiben und Durststrecken überbrücken. Kurz: Das innere Verlangen sich zu verbessern, führt zu den äußeren Notwendigkeiten. Als Schüler muss ich zum Lernen bereit sein.

„Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Meister“

Chinesisches Zen Sprichwort

Regelmäßiges Üben ist die Grundvorraussetzung, besser zu werden und schlägt reines Talent langfristig. Natürlich steht außer Frage, dass eine Kombination aus beiden das Traumpaar bilden.

Üben bedeutet nicht, dass nur stur Technik trainiert wird. Genau so wenig bedeutet es, dass man sich gleich dem Repertoire widmet und seine Stücke baut. Die oft gestellte Frage, was wichtiger ist Technik oder Präsentation des Stückes kann schnell beantwortet werden:

Stellt Euch einen Zauberkünstler vor, der einen Kartentrick technisch perfekt umsetzt und eine tolle Illusion hinlegt. Ihr könnt zu Ihm aber keine Verbindung aufbauen weil er seinen Trick ohne Gespür für die Situation herunterspult.

Das andere Extrem ist ein Entertainer, der zwar unterhalten kann, dessen Trick aber nicht funktioniert.

Nennt es „goldene Mitte“, Harmonie oder „Ying Yang“. Alles drei bedeutet Ausgeglichenheit. Kunst braucht immer Herz, Hirn und Hände.

Traingsaufbau

Effektives Üben ist so aufgebaut, dass Technik und das eigentliche Repertoire genügend Zeit finden, sich stetig zu verbessern. Ich habe eine Reihenfolge aufgeschrieben, die sich für mich als sinnvoll ergeben hat. Man kann seinen Übungsaufbau daran orientieren, egal welches Level an Professionalität man erreichen möchte.

Übungszeit von 1-2 Stunden

Übungseinheiten von 60-120 Minuten sind sinnvoll. Wird das Intervall kürzer gewählt, geht ein zu großer Teil der Zeit für das Einrichten des Trainings drauf. Bei längeren Üben leidet die Konzentration und die Übungszeit wird ineffizient.

Aufwärmen (5-10 Minuten)

Aufwärmen ist wichtig, um den Körper auf Übungsbetrieb zu stellen. Kein Sportler würde auf die Idee kommen, eine Sprintübung „aus der kalten“ zu absolvieren. Geistig wie körperlich bereitet man sich auf die folgende Übungseinheit vor.

Technikgrundlagen (10-20 Minuten)

Ich kenne niemanden, der diesen Teil gerne absolviert. Reine Technik zu üben ist langweilig, und erfordert viel Konzentration. Im Musikunterricht waren das Tonleitern, die zum einen fehlerfrei und später auf Geschwindigkeit gespielt werden sollten. In der Pantomime sind das Isolationsübungen oder visuelle Effekte wie „die Wand“, „Laufen auf der Stelle“ oder „das Seil ziehen.“

Versucht um Gottes Willen nicht jede mögliche Technik auf einmal zu üben. Ich nehme mir pro Wochen (Monat) ein Thema vor und festige immer ein oder zwei Techniken.

Allein für sich haben Grundtechniken keine Anwendung. Wer sie beherrscht, braucht beim Spielen nicht über Techniken nachdenken und kommt schneller zu Resultaten.

Etüden und Studien (15-30 Minuten)

Etüden sind kleine Übungsstücke, die für sich schon mehr an ein Spiel erinnern aber noch kein richtiges Stück für das Repertoire darstellen. Reine Techniken werden in einen spielerischem Zusammenhang gebracht und je nach Trainingsschwerpunkt variiert.

Macht Euch genau klar, welches Ziel das Übungsstück hat, denn hier bekommen Techniken ihren Schliff. Geht es in dem Stück um Rhythmus, Schnelligkeit oder Ausdruck?

In der Pantomime ist das z.B. das imaginäre Überreichen eines Glases Wasser. An diesem simplen Vorgang kann man differenzierte Aspekte üben. Durch verschiednen Spielweisen wird daraus ein trauriger schwerer Akt oder eine lustig clowneske Geste. Ich bin selber überrascht, wie viel Bedeutung man in eine Geste legen kann.

Repertoire (30-60 Minuten)

Ohne Zweifel ist das der beliebteste Teil der Übungszeit. Hier wird an sichtbaren Resultaten gearbeitet. Neue Stücke werden eingeübt. Alte Teile können wiederholt und ausgebaut werden.

Wer sich nur auf sein Repertoire konzentriert und die Technik ausser acht lässt wird Probleme haben, saubere Resultate zu erzielen. Die Arbeit an dem jeweiligen Projekt wird langwierig, weil innerhalb des Stückes an Grundlagen geübt wird. Das ist frustrierend und hemmt Fortschritte.

Allgemeine Trainingshinweise

  • Kurz und oft statt lang und selten. Generell ist es effektiver, regelmäßig kurz zu üben anstatt nur wenig und dann sehr lange. Es ist wie mit einem Flugzeug, dass viel Treibstoff benötigt, um eine gewisse Flughöhe zu erreichen. Einmal da angekommen, bedarf es nur wenig aber stetig Energie, die Höhe zu halten.
  • Langsam beginnen. Das in jedem Anfang ein Zauber inne wohnt wusste schon Herman Hesse?. Trotzdem alles in Maßen! Ich habe im Wing Tsun viele neue begeisterte Schüler gesehen, die im ersten Monat fast jeden Tag zum Training kamen und dann nie wieder. Eine Sache zu meistern braucht Zeit. Gebt dem Körper Gelegenheit, das gelernte zu verarbeiten, sonst brennt er aus.
  • Pausen. Der Grund warum 1-2 Stunden eine gutes Zeitintervall zum Üben ist, liegt in der begrenzten Konzentrationsfähigkeit des Menschen. Wer 2 Stunden oder länger übt sollte pro Stunde, eine 10 minütige Pause einhalten. In dieser Zeit sollte nichts getan werden, was mit dem Übungsbereich zu tun hat. Checkt kurz Facebook oder widmet Euch einem kurzen Spiel auf dem iPhone. Danach ist der Geist aufnahmefähiger und das Üben wird effizienter.
  • Flexibilität. Nicht jede Tageszeit ist für jede Art von Aktivität geeignet. Variiert in der Länge des Trainings und probiert verschiednen Tageszeiten. Erfolg ist etwas tolles, aber der Spaß sollte nicht zu kurz kommen.
  • Etappen abstecken. Ich selber gehen Dinge analytisch an. Ziele werden gesetzt und der Weg dahin in Etappen. Kommt mir ein Teilstück zu groß vor, unterteile ich wieder in Unteretappen bis ich sie gut bearbeiten kann. Das hilft Projekte voranzubringen. Vielleicht in Babyschritten, aber es geht voran.

In welchen Disziplinen übt Ihr regelmäßig?

Hinterlass ein Kommentar, in welchen Gebiete Ihr Euch verbessern möchtet. Habt Ihr vieleicht einen Tipp, wie man effektiv üben kann?

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3 Replies to Richtiges Üben Teil 1: Instrument oder neue Fähigkeit erlernen? So holt Ihr das Maximum aus Eurer Übungszeit heraus

  1. Dave sagt:

    Danke für diesen Artikel. Sehr hilfreich um auch mal wieder gewisse Sachen zu überdenken und auch eine neue Struktur reinzubringen. Ich persönlich bin Berufsmusiker (Schlagzeug) und kenn sehr gut die Probleme welche auftreten können. Früher übte ich jeweils 6 bis 8 Stunden. Ich war so motiviert und besessen davon, dass bin ich heute auch noch :-)!

    Aber ich muss heute meine Zeit auch einteilen und das ganze strukturieren. Schlussendlich stehen immer wieder diverse Projekte an usw. Da muss man sich gezielt vorbereiten. Zeitmanagement ist wichtig und bringt auch sehr viel.

    Aber die tägliche Überroutine ist mir wichtig und doch haben mir in letzter Zeit viele Dinge die Augen neu geöffnet!

    Als Drummer kann man sich sehr schnell in der Flut an Informationen, Lehrbücher, DVDs usw. verlieren, es gibt einfach zu viel Material. Was man früher kaum kannte und hatte, liegt heute in einer unglaublichen Menge bereit, welche man nicht mehr be-und verarbeiten kann.

    Zum üben habe ich auch mal was kleines geschrieben:

    http://www.derdrummer.ch/practice/jojo-mayer-philosophie-zum-uben/

    Gerade der Punkt „Übe für Resultate und nicht für Stunden“ von Drummer Jojo Mayer ist ein wichtiger Punkt. Wenn man gezielt und konsequent an Dingen arbeitet, kommen auch die Erfolge. Manchmal braucht es aber auch Zeit.

    Wichtig sind Ziele, welche man auch erreichen kann. Sich selber zu fordern ist aber auch wichtig. Aber man sollte sich niemals mit vielen Dingen überfordern. Schritt für Schritt und Konsequent an Themen arbeiten und nicht alles versuchen in die Übezeit einpacken.

  2. @Dave, Danke für Dein Kommentar und den Link zu Deinem Artikel. Auf Resultate hin zu üben ist ein sehr guter Punkt. Bald kommt ein 2. Teil in dem ich noch mal auf die Feinheiten in einer Übungssession eingehe.

  3. Jonathan sagt:

    Hallo Stefan,

    Danke für diesen Artikel. Es ist wirklich wichtig, eine klare Struktur und klare Ziele zu finden, um effektiv zu üben. Ich finde deine Struktur wirklich sinnvoll und den Artikel wirklich hilfreich.

    Ich bin Impro-Schauspieler und Musiker. Für’s Musizieren ist es für mich ganz klar, was ich üben muss, aber beim Impro-Training bin ich immer nich auf der Suche.

    Ich würde mich sehr über eine Fortsetzung deines Artikels freuen, oder gibt es die schon?

    Herzliche Grüße,
    Jonathan

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