3VIEW – die drei Filmtipps der Woche
[ Paul · I Saw the Devil · Ermordung des Jesse James ]

Ich bin Rocco, 29, Cineast. In dieser Rubrik werde ich Filme empfehlen. Keinen Mist. Tolle Filme. Einzigartige Filme. Filme, für die es sich lohnt, Zeit und Geld zu investieren. Filme, die im Gedächtnis bleiben, die sich tief ins Herz eingraben. Filme, die herausfordern, die an die Grenzen gehen, Grenzen überschreiten. Ich wiederhole: keinen Mist. Zeit ist zu kostbar, um sie für Industrieabfall zu verschwenden. Die Auswahl werde ich knapp halten: Ein aktueller Kino-, ein frischer Heimkino- und ein zeitloser Geheimtipp pro Woche. Stets höchst subjektiv, oft aus dem Bauch heraus. Könnt ihr zustimmen, müsst ihr nicht. Lobt, tadelt, kommentiert und diskutiert. Ich freue mich auf euer Feedback und wünsche eine spannende Entdeckungsreise.


Kinotipp: Paul – Ein Alien auf der Flucht

Originalitel: Paul
Land / Jahr / Länge: USA, Großbritannien / 2011 / 104 Minuten
Regie: Greg Mottola
Darsteller: Simon Pegg, Nick Frost, Seth Rogen (Stimme), Jane Lynch, Jason Bateman, Sigourney Weaver


Hach, das ist mein Film. Ich sitze mittig in der Hauptzielgruppe (männlich, 20-40 Jahre, Sci-Fi- und Filmgeek) und genieße es. Meine zwei britischen Lieblingsbuddies Simon Pegg und Nick Frost – die gemeinsam schon in den Partyfilmen Shawn of the Dead und Hot Fuzz rockten – touren mit einem Wohnmobil quer durch die Staaten. Start ist die weltberühmte Fanmesse Comic-Con, Ziel die Alien-Fanatiker-Hochburg Area 51. Dort treffen sie unvermittelt auf Paul – einen echten Außerirdischen, der genau die äußerlichen Klischees bedient, mit denen wir aufgewachsen sind, einfach deshalb, weil er in den letzten Jahrzehnten das reale Vorbild war. Gut versteckt vor der Öffentlichkeit ist er dabei extrem vermenschlicht, hat unsere Sprache gelernt, sich viele unserer Angewohnheiten und Vorlieben einverleibt und stets kooperativ all sein Wissen weitergegeben. Selbst Steven Spielberg konnte bei Paul anrufen und für seine Filme um Rat fragen. Nun jedoch ist der gesamte Wissensschatz vermittelt und der nächste Schritt wäre, Paul für die Erforschung seiner übermenschlichen Fähigkeiten aufzuschneiden. Darauf hat er aber natürlich keine Lust und ist deshalb nun gemeinsam mit unseren beiden völlig überforderten Touristen auf der Flucht. Und dieser zuzusehen macht einfach von der ersten bis zur letzten Minute extrem Spaß. Das Tempo ist rasant, die Gag- und Schimpfwortdichte hoch, es gibt Genre-Referenzen und Zitate en masse, konservativer Gottesglaube wird herrlichst ad absurdum geführt, alle Darsteller sind mit bester Laune bei der Sache und selbst der computergenerierte Paul wird voll und ganz als Charakter und nicht als Spezialeffekt wahrgenommen. Es darf gern auch mal harmlos und mainstreamig sein, wenn es so sympathisch und unterhaltsam zugeht wie hier. Deshalb: Für mich der beste Kinostart der Woche, der lustigste sowieso. Ich wünsche eine gute Reise.

Trailer:


Heimkinotipp: I Saw the Devil

Originaltitel: Akmareul boatda
Land / Jahr / Länge: Südkorea / 2010 / 141 Minuten
Regie: AKim Jee-woon
Darsteller: Lee Byung-hun, Choi Min-sik, Jeon Gook-hwan, Jeon Ho-jin, Oh San-ha, Kim Yoon-seo

Schluss mit lustig. Nach dem seichten Paul gibt es jetzt die knallharte Kompensierung. Alle, die kein Blut sehen können, bitte gleich zur nächsten Empfehlung weiterspringen. I saw the Devil ist extrem intensiv, extrem pessimistisch und extrem brutal. Ein betäubend heftiger Rachethriller in betörend schönen Bildern. Dass der Film fantastisch aussieht, ist kein Wunder. Das koreanische Regietalent Kim Jee-woon hat schon mit dem großartigen Partywestern The Good The Bad The Weird bewiesen, dass er auf höchstem Niveau inszenieren kann. Und auch hier: Der Film nimmt einen sofort gefangen und erst nach einer Weile bemerkt man, in welch unaufhaltsame und traurige Gewaltspirale man sich begeben hat. Kyung-chul ist ein Psychopath, der wahllos und ohne nähere Begründung jungen Frauen auflauert, sie entführt, misshandelt und dann brutal ermordet. Eines der Opfer ist die schwangere Tochter des ehemaligen Polizeichefs. Ihr Verlobter, selbst ein hochrangiger Spezialagent, begibt sich alsbald auf einen privaten Rachefeldzug, mit dem Ziel, den Täter nicht nur zu fassen, sondern ihn selbst die Qualen seiner unzähligen Opfer erleiden zu lassen, immer und immer wieder. Die anfangs klar abgestecken Grenzen zwischen gut und böse verschwimmen schnell. Der Jäger verfällt dem Rachewahn, jegliche Restmoral wird über Bord geworfen, ein episches, komplexes und nicht enden wollendes Duell – Bestie gegen Bestie – nimmt seinen Lauf. Neben der großartigen Inszenierung ist es dabei vor allem den grandiosen Darstellern zu verdanken, dass der Film nie in platte Rache- oder Exploitationklischees abrutscht und trotz der Laufzeit von über 2 Stunden keine Sekunde langweilt. Korea wartet nach Filmhighlights wie Sympathie for Mr. Vengeance, The Host oder Oldboy wieder mit einem Meisterwerk auf, dass man unbedingt gesehen – besser: erlebt – haben muss. Auch, wenn man danach im wahrsten Sinne ziemlich erschlagen allein gelassen wird: Großes Kino!

Trailer:


Geheimtipp: Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

Originaltitel: The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford
Land / Jahr / Länge: USA / 2007 / 160 Minuten
Regie: Andrew Dominik
Darsteller: Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Rockwell, Mary-Louise Parker, Jeremy Renner, Sam Shepard

Zuerst einmal: Ich bin kein großer Western-Fan. Für mich war dieses Genre schon immer eine Art Schlagermusik des Filmes. Idealisierte Altherren-Urlaubs-Fantasy voller einsamer und wortkarger Helden. Kann man mögen. Muss man nicht. Auch True Grit – für viele ein Neo-Western-Meisterwerk – empfand ich selbst außerhalb des Genres und vor allem im Kanon der bisherigen Coen-Filme als eher belanglose Enttäuschung. Dann gab es da noch einen ebenfalls als Neo-Western beworbenen Film, von dem ich immer wieder gehört, aber den ich mir dann doch nie angeschaut habe. Trotz guter Kritiken, trotz Auszeichnungen. Ich fragte Freunde. „Ja, kenn ich, hab ich aber noch nicht gesehen.“ Ein langer Film, dessen inhaltlicher Höhepunkt schon im ebenfalls langen Titel vorweggenommen wird. Kann der gut sein? Nein. Er ist nicht gut. Er ist ein brilliantes Meisterwerk. Selbst nach Sichtung vor ein paar Wochen bin jetzt noch ganz verliebt. Ende 19. Jahrhundert. Jesse James gelangt durch seine räuberischen Taten im mittleren Westen der USA zu großer Berühmtheit. Ein Robin-Hood-Mythos entsteht, der das Bild eines egomanischen, ganz und gar nicht heroischen Verbrechers in der öffentlichen Wahrnehmung völlig verzerrt. Hier versucht nun der Film, der wahren Figur des Jesse James auf den Grund zu gehen, die Legende zu entzaubern und schafft dabei selbst einen Epos von großer mystischer Kraft. Jesse James ist ein einsamer Mann, von seinem eigenen Ruf entkräftet, von Selbstzweifeln und Verfolgungswahn zerfressen. Wir erleben seine letzten Jahre im Kreise seiner Mitmenschen, zu denen auch der junge Robert Ford gehört, der sich im Verlauf dieser hypnotisierenden Geschichte vom naiven Fan zum resignierten Erlöser wandelt. Das ist klassisches, kunstvolles und vor allem sinnliches Cinemascope-Kino, wie es ewig laufen könnte. In wunderbaren Bildern, melancholisch vor sich hin fließend, den Charakteren und der Geschichte Zeit gebend, das Herz des Zuschauers erobernd. Elegisch, sensibel, bisweilen auch pathetisch, aber das ist völlig ok für einen Western. Und ich bin ja selbst ein großer Western-Fan. Seit diesem Film.

Trailer:


Und schon sind wir am Ende von 3VIEW Nummer 2. Ich muss gestehen, es fällt mir etwas schwer, die Texte auf ein gewisses Maß zu beschränken, würde ich doch noch gern näher auf Details eingehen. Aber eigentlich könnt und sollt ihr das ja alles selbst entdecken, wenn ihr euch die Filme anschaut. Und ich weiß um die knappe Zeit und leichte Ablenkbarkeit. Für den ein oder anderen mögen meine Empfehlungen sogar schon viel zu lang sein. Auf Feedback diesbezüglich freue ich mich. Zu lang? Zu kurz? Was fehlt? Was ist unwichtig? Immer her mit den Infos und Meinungen. Bis dahin wünsche ich euch viel Spaß mit den Filmen und freue mich auf Runde 3. Bis nächsten Mittwoch, danke für die Aufmerksamkeit, euer 3VIEWer Rocco.

Alle bisherigen 3VIEWs im Überblick

One Reply to 3VIEW – die drei Filmtipps der Woche
[ Paul · I Saw the Devil · Ermordung des Jesse James ]

  1. Schöne Filme. Die werde ich mir anschauen. Genau in dieser Reihenfolge. Paul klingt gut. Ich habe gerade ein „Berliner“ entkorkt.

Leave a Reply